Die Gedenkstätte Eckerwald erinnert an ein letztes Kapitel nationalsozialistischer Kriegspolitik. Von September 1944 bis Frühjahr 1945 wurde auf diesem Gelände eine Schieferölfabrik errichtet.
Die Anlage gehörte zum „Unternehmen Wüste“, einem Industriekomplex, dessen Bestimmung es war, die Treibstoffkrise, die sich im Verlauf des Zweiten Weltkriegs abzeichnete, zu beheben. KZ-Häftlinge aus sieben Außenlagern von Natzweiler-Struthof entlang der Bahnlinie Tübingen- Rottweil wurden hier gezwungen, ihren Beitrag zur Kriegswirtschaft zu leisten.
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„Wer nicht weiß, was gewesen ist, weiß nicht, was kommen kann“ – oder: „Wir haben Angst vor den Leuten, die von der Vergangenheit nichts gelernt haben.“ Das schwarze Buch mit den handschriftlichen Eintragungen liegt in einer Holzhütte, die im Eckerwald zwischen Rottweil und Balingen steht. Sie markiert den Einstieg in den „Gedenkpfad Eckerwald“, dessen einzelne Stationen Ruinenreste aus den Jahren 1944/45, Informationstafeln und eine Gedenkstätte sind. Die Ruinenreste sind als Zeugen dafür stehengeblieben, dass die Nazi-Verbrechen im Dritten Reich nicht auf „beruhigend“ ferne Orte beschränkt waren wie Auschwitz oder Treblinka, sondern nicht selten vor der Haustür jener begangen wurden, die behaupten, „von all dem nichts gewusst“ zu haben.
Das „Unternehmen Wüste“: Treibstoff für Hitlers Krieg
Als sich im Zweiten Weltkrieg das Blatt zunehmend zu Ungunsten des „Dritten Reichs“ wendete, gingen immer mehr Treibstoffressourcen verloren. Doch die Parole hieß „Räder müssen rollen für den Sieg“, und so besann man sich auf Produktionsmethoden, bei denen Wirtschaftlichkeit kein Kriterium mehr war: Spritgewinnung aus Ölschiefer. Am Nordtrauf der Schwäbischen Alb – zwischen Tübingen und Rottweil – stehen mächtige Gesteinsschichten des Schwarzen Jura an, der in der Schicht Lias epsilon (Posidonien-Schiefer) einen Anteil von etwa fünf Prozent Bitumen enthält, aus dem sich durch Verschwelung Öl gewinnen lässt. Darin sah man eine Chance und forcierte ein in mehrfacher Hinsicht wahnwitziges Unternehmen. Das geheime „Unternehmen Wüste“ bestand aus zehn unter freiem Himmel angelegten Produktionsstätten bei Dusslingen-Nehren, Bisingen-Wessingen, Engstlatt, Erzingen, Dormettingen-Nord-, -Süd, -Mitte und -West sowie Schömberg und bei Zepfenhan im heutigen Eckerwald, aufgezählt unter dem Namen „Wüste 10“. Da diese Fabriken binnen kürzester Zeit aus dem Boden gestampft werden mussten, wurden den zehn Baustellen sieben Konzentrationslager zugeordnet, jeweils als Außenlager des Stammlagers Natzweiler-Struthof im Elsass. Das Außenkommando Zepfenhan im Eckerwald gehörte zum KZ Schörzingen, das von Februar 1944 an für 442 Tage bestand.
Mehr Blut und Tränen als Öl: Das Leben der KZ-Häftlinge
Die Belegung des KZ Schörzingen stieg von 200 auf mehr als 1.000 Häftlinge aus 15 Nationen an. Bei der Gemeindeverwaltung wurden 549 Tote registriert, die zunächst in Massengräbern verscharrt und nach Kriegsende auf Veranlassung der französischen Besatzungsmacht auf dem KZ-Friedhof Schörzingen beigesetzt wurden. Doch die Zahl der Todesopfer lag mit Sicherheit weit höher: Immer wieder gingen „Krankentransporte“ ab; wer sie überlebte, kam am Ziel im „Sterbelager“ um. Die Zahl der Toten im gesamten „Wüste“ Bereich wird auf 6.000 geschätzt.
Die KZ-Häftlinge im „Unternehmen Wüste“ schufteten zunächst bei der Erstellung der Produktionsstätten, dann bei der Schieferölgewinnung, die von geradezu lächerlicher Ausbeute war. Die Vermutung liegt nahe, dass in dieser „Wüste“, zumindest aber im Eckerwald, mehr Blut und Tränen geflossen sind als Öl. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren im wörtlichen Sinne mörderisch. Das Lager war stets heillos überfüllt, die Verpflegung minimal und miserabel. Unabhängig von der Jahreszeit hatten die, auch „Zebras“ genannten, Häftlinge nichts als den gestreiften Anzug aus dünnem Drillich, der auch nach schlimmster Drecksarbeit nicht gewechselt werden konnte. Das seinerzeit noch nicht bewaldete Gelände des heutigen Eckerwalds war morastig. Nicht selten standen die fast zum Skelett abgemagerten Gestalten bis zur Hüfte im Schlamm, was die SS-Aufseher nicht daran hinderte, die letzten Kraftreserven aus ihnen herauszuknüppeln. Viele der KZ-Häftlinge haben diese Qualen nicht überlebt. Wenn sie abends von der Arbeit zum Lager wankten, hatten sie noch viereinhalb Kilometer zurückzulegen. Der Weg führte anfangs durchs Dorf Schörzingen, später gab es eine drei Kilometer lange Abkürzung durch freies Gelände. Häufig hatten einige der Häftlinge an toten, verletzten oder völlig erschöpften Kameraden schwer zu tragen. Wiewohl die Schinderei im Eckerwald auf die Schieferölproduktion abzielte, war die „Vernichtung durch Arbeit“ eine weitere Komponente. Für das „Material Mensch“ gab es jederzeit Nachschub.
Hoffnungslose Fluchtversuche
Trotz der Bewachung kam es zuweilen zu verzweifelten Fluchtversuchen. Weit kamen diese Todeskandidaten aber nie. Ein Beispiel: Am 23. Dezember 1944 ließ der Schörzinger Lagerleiter, SS-Rottenführer Herbert Oehler, nach einem Fluchtversuch zwei russische Gefangene hängen. Um dieses „Weihnachtsgeschenk“ zu würdigen, hatten alle Häftlingen anzutreten. So problemlos es für die SS-Schergen war, Menschen zu Tode zu schinden, so bürokratisch war das Verfahren, ein förmliches Todesurteil zu erwirken: Zuständig war die Abteilung D des SS-Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamts in Berlin. Nicht selten allerdings wurden die Delinquenten sozusagen „freihändig“ zu Tode gemartert. Als französische Truppenverbände in den Schwarzwald vorrückten, wurden die „Wüste“-Lager im April 1945 aufgelöst. Zu Fuß wollte man die Häftlinge in Nachtmärschen Richtung Dachau treiben, doch unterwegs wurde den SS-Bewachern die Situation zu mulmig. Sie waren plötzlich verschwunden, als in gefährlich geringer Entfernung französische Panzerketten klirrten. In der Gegend um Altshausen, Ostrach und Pfullendorf waren die Gefangenen völlig unvermittelt in Freiheit. Der SS-Rottenführer Oehler wurde 1946 in Rastatt von einem französischen Militärtribunal zum Tode verurteilt. Was aber insbesondere ehemalige Häftlinge am Rechtssystem zweifeln ließ und noch immer lässt: Bereits zehn Jahre später stand Oehler bei einem NS-Prozess in Hechingen im Zeugenstand – begnadigt und als freier Mann!
Ruinen werden zur Gedenkstätte
In der unmittelbaren Nachkriegszeit mag der Wunsch verständlich gewesen sein, dieses entsetzliche Kapitel deutscher Geschichte zu vergessen. Nachdem man im Eckerwald brauchbare Materialien - insbesondere Metall – „abgeerntet“ hatte, wurde das kahle Gelände aufgeforstet. Ungestörtes Wachstum sollte Geschichte in Vergessenheit geraten lassen, allerdings nicht für immer: 1987 gründeten 25 Frauen und Männer in Rottweil die „Initiative Gedenkstätte Eckerwald e. V.“. Zuvor hatte man versucht, das bewaldete, mit dichtem Unterholz überwucherte Terrain – häufig auf dem Bauch kriechend – einigermaßen zu erkunden. Die Ziele, die sich der Rottweiler Verein gesetzt hatte, erschienen manchem vermessen, aber sie wurden alle umgesetzt: Zunächst galt es, die Ruinen durch Wege und Treppen zu erschließen. Viel Arbeit machten die Recherchen zur technischen Identifikation der Ruinenreste. Eine Schutzhütte mit Geräteschuppen wurde gebaut. In der Backsteinruine der ehemaligen elektrischen Gasreinigung entstand mit Unterstützung durch die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg ein Informationszentrum mit zehn verglasten Schaukästen. Eine der Mulden, die Häftlinge für die technischen Einrichtungen ausgehoben hatten, wurde zur Gedenkstätte. Für diesen Ort schuf der Rottweiler Bildhauer Siegfried Haas die überlebensgroße Bronzefigur eines geschundenen, sich jedoch mit letzter Kraft aufbäumenden Häftlings. Einen beträchtlichen Teil der Mittel für diese Plastik brachte die „amicale“ der Überlebenden aus Luxemburg auf. Darüber hinaus weiß sich die Initiative der Hilfe vieler Institutionen wie Kommunen, Forstverwaltung, Landratsämtern, Teilnehmern an Workcamps und großzügigen Sponsoren zu Dank verpflichtet.
Diese eindrucksvolle Plastik steht im Zentrum, wenn die Initiative Eckerwald alljährlich im Frühjahr zur Gedenkfeier einlädt. Und sie sollte schließlich im Zeichen der Begegnung mit ehemaligen Häftlingen und deren Angehörigen aus Frankreich, Luxemburg, Norwegen, den Niederlanden und Polen stehen. Herzliche Freundschaften sind dort entstanden, wo einst namenloses Leid und kalte Menschenverachtung institutionalisiert waren. Diese Begegnungen wurden bald das zentrale Anliegen der Initiative.
(Text von Von Heinrich Maier, ergänzt von Gertrud Graf; Heinrich Maier war Redakteur in Rottweil und aktives Mitglied der Initiative Gedenkstätte Eckerwald e. V. Er starb 2010. Gertrud Graf ist Gründungmitglied und Vorstandssprecherin der Initiative Gedenkstätte Eckerwald.)
Gedenkstätte Eckerwald
72355 Schömberg-Schörzingen